Liebe Musikfreundinnen und -freunde,
BACH INSPIRIERT! Wer könnte und wollte sich der Kraft und dem Zauber der Musik Johann Sebastian Bachs entziehen! Vor 300 Jahren komponiert, ergreift sie uns heute noch immer, egal, woher wir kommen, welche Bildung, Religion oder Weltanschauung wir haben. Bach inspiriert, über Grenzen von Ländern und Sprachen, der Kulturen und des musikalischen Geschmacks hinweg.
Wer spürte nicht den existenziellen Ernst und die tiefe Freude, die in ihr ist, Trauer und Enthusiasmus, bohrenden Zweifel bisweilen und doch in allem die Zuversicht dessen, der glaubt.
Inspiration
Bach war ein großer Glaubender, ein Christ, und als solcher ein Inspirierter. So zeichnete er seine Werke mit „Soli Deo Gloria“: Gott allein sei Ehre, nicht ihm, dem Komponisten. Ganz stellte er sich in den Dienst der „Musica von Gottes Geist“, jener Musik, die inspiriert ist, in der, aus der und durch die etwas atmet – lateinisch „inspirare“ heißt ja einhauchen, einblasen, beseelen, „spiritus“ bedeutet Atem, Hauch, Wind, Geist, Seele; jener Musik, durch die etwas atmet, das größer ist als wir und das wir nicht (be)greifen, wohl aber erleben können. Das uns wunderbar anweht und im Innersten belebt, so dass wir unsere Lebendigkeit fühlen und in ihr zugleich die Tiefe der Welt, so dass wir spüren, dass die Welt und wir selbst mehr sind als das, was wir in unserer Alltäglichkeit von ihr und von uns selbst erfahren. Der Theologe Jörg Lauster beginnt sein lesenswertes Buch „Der Heilige Geist. Eine Biographie“ (2021) daher so:
„Das menschliche Dasein zeichnet aus, dass es sich ereignet in einer Welt, die nicht stumm ist. Aus der Welt steigt ein Rauschen auf, das Menschen anspricht, fordert, schreckt und beruhigt. Das Rauschen kann in einer klaren Melodie hervorströmen, es kann ruhig dahinfließen, es kann in einem plötzlichen Brausen hereinbrechen oder als ein dunkles Grollen das menschliche Welterleben fluten. Für dieses Rauschen hat das Christentum aus tiefer Vergangenheit eine Erklärung: Das Rauschen der Welt ist die Gegenwart des göttlichen Geistes. Denn Gott ist in der Welt präsent als Geist.“
Weil wir dieses Rauschen, die Gegenwart dieses großen Etwas nicht fassen und anfassen, begrifflich nicht bezeichnen können, helfen wir uns mit dem abstrakten Begriff „Geist“ oder mit Metaphern, mit (Sprach)Bildern, die unsere sinnliche Wahrnehmung hergibt, unser Hören und Sehen. Sie machen das Unsichtbare sichtbar, das Unhörbare hörbar.
So sprechen wir von „Rauschen“ oder „Brausen“, von „Wind“ und „Sturm“, von „Atem“ und „Hauch“ oder „Feuer“ und „Seelenfunken“, um diese immaterielle Kraft zu bezeichnen: diese Kraft, die uneindeutig ist, aber so ungeheuer lebendig macht und uns bisweilen, wenn wir sie besonders stark spüren – wie durch die Musik von Johann Sebastian Bach –, entzündet und brennen oder auch fliegen lässt; die uns begeistert und Neues fühlen und denken lässt. Andres. Diese Augenblicke gesteigerten Lebens, die unseren Blick auf uns selbst und die Welt von Grund auf verändern können, sind Augenblicke der Inspiration.
Die Religionen nennen das Unbenennbare, das sich uns einatmet, sich auftut und sich uns schenkt, „Gott“. Ihrem jeweiligen Gott geben die monotheistischen Lehren unterschiedliche Namen. Andere Modelle sprechen, ebenfalls mit der Hauch-Metapher, von „Atman“ (Sanskrit: Lebenshauch, Atem). Und jene Philosophien, die in Frage und Zweifel verharren, agnostisch, atheistisch oder materialistisch sind, bleiben bei „Etwas“, „Energie“, „Kraft“ oder „Leben“ oder „Natur“ und beschreiben alles Erleben und Denken etwa als Wirkung und Leistung des Stoffwechsels und des menschlichen Gehirns.
Was auch immer: fragen wir nach dieser Kraft, die wir zweifellos erleben, rühren wir an das Geheimnis des Menschseins und der Kunst und überhaupt dessen, was ist.
Für uns, die wir das Motto „Bach inspiriert“ gewählt haben, bleibt die Frage nach dem Ursprung der Inspiration offen. In diesem Sinn laden wir Sie zum Bachfest Münster mit den Dichtern Friedrich Hölderlin und Christian Lehnert, der diesen Vers aus Hölderlins Elegie „Brod und Wein“ in seinem Libretto zum Eröffnungskonzert von BACH INSPIRIERT anführt, ein:
„Aufzubrechen. So komm! Dass wir das Offene schauen.“
Pfingsten
… und hören! Bach inspiriert – in Münster zu Pfingsten. Da liegt das Inspirationsthema in der Luft, ist doch Pfingsten das christliche Fest der Inspiration, der wundersamen Einhauchung des göttlichen Geistes in die Apostel, die nach der berühmten Episode aus der biblischen Apostelgeschichte gewaltig Feuer fingen und Feuer und Flamme waren:
„Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“
Ist nicht Bachs Musik – und auch die Musik derer, die er inspiriert(e) – auch solch eine Fremd-Sprache, je nachdem mit oder ohne Worte, nicht von hier und von heute, dennoch vertraut und heutig? Wozu wird sie uns inspirieren?
Programm
In unserm Eröffnungskonzert „PfingstFeuer“, einer URAUFFÜHRUNG, schreiben wir die biblische Geschichte vom Inspirationsgeschehen und das jüdisch-christliche Inspirationsdenken mit seiner Atem- und Feuermetaphorik weiter. Wir baten den Dichter, Theologen und evangelischen Pfarrer Christian Lehnert, im Hinblick auf dieses Erbe und als Antwort auf von uns ausgewählte Auszüge aus Bachs Pfingstkantaten und dem Osteroratorium ein Libretto zu verfassen, und den Komponisten Stefan Heucke, Lehnerts Text zu vertonen und seine Komposition mit der Musik von Bach zu verweben. Wir hoffen natürlich auf ein inspirierendes Brausen und Leuchten beim „PfingstFeuer“ im St.-Paulus-Dom zu Münster.
Inspiriertes dürfen wir Ihnen insgesamt bei den Veranstaltungen des Bachfests Münster versprechen. Vom 17. bis 26. Mai stehen drei weitere URAUFFÜHRUNGEN im Auftrag von BACH INSPIRIERT auf dem Programm, darunter ein weiteres Werk von Stefan Heucke, unserem Composer in Residence, nämlich seine „Markus-Passion“, und die neue „Bach-Oper“ um Jan van Leiden, den niederländischen „Wiedertäufer“, Propheten des Weltuntergangs und vorgeblichen Retter der Auserwählten in Münster. Die 2021 entstandene Oper trägt den Titel „J. S. Bach – Die Apokalypse“. Sie wird von Opera2Day aus Den Haag und der Nederlandse Bachvereniging produziert. Außerdem gibt es neben diversen Konzerten Wortveranstaltungen und liturgische Formate. Gewiss ist für alle etwas dabei!
Schwerpunkte Bach.Oranje und Alt.Neu
Zwei Programmschwerpunkte möchten wir hier hervorheben. So haben wir zum Bachfest Münster vornehmlich international herausragende Künstler:innen aus den Niederlanden für das Programmformat BACH.ORANJE eingeladen. Denn „nebenan“ wurde die historisch informierte Aufführungspraxis mit entwickelt, und es gibt eine außergewöhnlich lebendige, inspirierte Bach-Tradition. Zudem verbinden Münster und die Niederlande jahrhundertealte Beziehungen. Hier sei nur an die holländisch-münsterschen „Wiedertäufer“ im 16. Jahrhundert erinnert und an den Westfälischen Frieden mit dem Vrede van Münster, der den Achtzigjährigen Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden beendete und die Souveränität unseres Nachbarstaates begründete.
Außerdem verfolgen wir in unserer Programmlinie ALT.NEU, wie Komponisten sich von Bach haben inspirieren lassen und erleben hautnah, wie Musiker:innen und Komponist:innen das heute noch tun und dabei die Grenzen des Genres „Klassik“ faszinierend öffnen.
Auch die ORGEL-Matineen und Soireen lokaler und international renommierter Organisten verfolgen die Wirkung Bachs bis in unsere Gegenwart.
Vorprogramm BASSO CONTINUO
Doch auch schon vor dem Bachfest Münster, ab dem 10. März 2024, wird der Bach-Wind oder das Bach-Feuer die Domstadt und das Münsterland durchziehen. Im breit und partizipativ angelegten Vorprogramm BASSO CONTINUO gestalten und veranstalten viele, in erster Linie lokale und regionale Chöre und Ensembles in Eigenregie rund 60 Konzerte mit Bach. Auch dazu laden wir Sie herzlich ein!
Dank
Um all das zu realisieren, waren viele Kräfte nötig:
Wir danken der internationalen Neuen Bachgesellschaft, die seit 1901 jährlich Bachfeste auslobt und den Titel nach einem deutschlandweiten Wettbewerb um das beste Konzept 2024 an BACH INSPIRIERT vergeben hat. Wir freuen uns sehr und sind stolz, uns „das 98. Bachfest der Neuen Bachgesellschaft“ nennen zu dürfen.
Finanziell haben starke Partner dazu beigetragen, dass wir BACH INSPIRIERT realisieren und den BASSO CONTINUO unterstützen können. Wir danken dem Ministerpräsidenten des Landes NRW, Hendrik Wüst, dafür, dass er die Schirmherrschaft über unser Bachfest übernommen hat und dass wir großzügig aus Mitteln des NRW-Kulturministeriums gefördert werden. Auch die Stadt Münster sowie die LWL-Kulturstiftung, die Stiftung der Sparkasse Münsterland Ost und die Kunststiftung NRW unterstützen uns maßgeblich. Neben Eigenmitteln des Evangelischen Kirchenkreises, des Bistums Münster und der GWK tragen finanziell auch die Freunde und Förderer des Sinfonieorchesters Münster, die Evangelische Apostel-Kirchengemeinde und die Neue Bachgesellschaft zur Finanzierung bei. Ihnen allen, und last but not least unseren zahlreichen Kooperationspartnern und -partnerinnen an den Spielorten und den Mitorganisator:innen Jutta Bitsch, Thomas Schmitz und Stephan Froleyks, ohne die ein solches Bachfest gar nicht durchführbar wäre, danken wir herzlich.
Ihnen, liebes Publikum, wünschen wir von März bis Mai unvergessliche Tage mit, wie John Eliot Gardiner in seinem Buch „Musik für die Himmelsburg“ schreibt,
„Klängen, die auf unerklärliche Weise die Freuden und Leiden unseres irdischen Lebens einfangen und uns helfen, zum emotionalen Kern dessen vorzudringen, was es heißt, ein Mensch zu sein“.
Lassen Sie sich inspirieren! Wir freuen uns auf Sie,
